Wer war eigentlich Otto Hahn?

Verfasst von Ulf Müller am . Veröffentlicht in Das OHG stellt sich vor

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(Bildquelle:
http://www.hdg.de/lemo/biografie/otto-hahn.html)

Fast jeden Tag begegnet uns dieser Name in der Schule – was ist so besonders an ihm, dass das OHG nach ihm benannt wurde?

Um einen Eindruck von seinem Lebenswerk zu gewinnen, sollen im Folgenden nicht nur seine wissenschaftlichen Arbeiten, sondern auch seine menschliche Seite näher betrachtet werden.

Geboren am 08.03.1879 in Frankfurt am Main wuchs er in einer Zeit auf, die für uns, insbesondere die jüngere Generation, nur schwer vorstellbar ist. Die Jungen trugen kurze Hosen (auch im Winter), das Taschengeld war knapp und viele Häuser hatten noch kein elektrisches Licht, geschweige denn andere elektrische Geräte. Petroleumlampen mussten auch 20 Jahre später oft genügen.

Er war einer der besten Schüler und sich seiner Fähigkeiten wohl bewusst, blieb dabei aber bescheiden. Aufgrund einer Verletzung der rechten Hand fertigte er einmal eine Hausaufgabe auf ölgetränktem Papier mit der linken Hand in Spiegelschrift an, so dass sein Lehrer das Blatt umdrehen und den Text lesen konnte. Das Lob dafür fand er unangemessen, es sei ihm ja als Linkshänder nicht schwer gefallen. Zu Hause lag seine Erziehung und die seiner beiden Brüder hauptsächlich in der Hand des 9 Jahre älteren Stiefbruders, der später Lehrer wurde. Altersübliche Eskapaden wie heimliches Rauchen oder Rutschpartien auf Hausdächern ließ auch er nicht aus.

Materiell litt die Familie keine Not, denn der Vater war erfolgreicher Handwerker, der – wie damals üblich – nach Ansehen und Wohlstand strebte und seinen Betrieb weit voranbrachte.

Am Ende seiner Schulzeit war Chemie sein liebstes Fach. Er studierte in Marburg und machte mit 22 Jahren seinen Abschluss inklusive eines Doktorexamens in Religon. Wie viele andere Naturwissenschaftler war er zwar sehr religiös, glaubte an Gott allerdings nicht in Form eines bestimmten Wesens, sondern eher in der eines alles durchdringenden Ordnungsprinzips, welches unser Leben bestimmt.

Nach dem auch in Friedenszeiten obligatorischen Kriegsdienst, in dem er den Rang eines Vizefeldwebels erreichte, kehrte er kurz als Assistent einer Vorlesung nach Marburg zurück, begann dann aber einen halbjährigen Dienst in London bei Sir William Ramsay, der ihm erstmals Arbeiten mit radioaktivem Material zuteilte. Hahn war so begeistert, dass er diese Experimente nach seiner Rückkehr nach Berlin fortsetzte, wo später Lise Meitner dazustieß. 1912 verlobte er sich nach wenigen Treffen mit Edith Junghans, die er im darauf folgenden Jahr auch heiratete.

Im ersten Weltkrieg wurde auch Otto Hahn an die Front gerufen. Nach einem Jahr als Soldat bekam er den Auftrag, in einer Spezialtruppe mitzuarbeiten, die den Krieg mit Giftgas planen sollte. Trotz seiner Bedenken, dass dies gegen die Haager Konvention verstoßen würde, überredete man ihn mit der Aussicht, dass der Krieg so schneller beendet werden könnte. Damit waren seine Aufgaben nun die taktische Beurteilung der einzelnen Frontstellungen sowie das Befüllen der Gasbehälter von Hand und die Dichtigkeitsprüfung der Gasmasken im Selbstversuch. Nach mehreren erfolgreichen Angriffen und dem Anblick der sterbenden Soldaten schämte er sich zwar für seine Arbeit, setzte seinen Auftrag jedoch fort.

Nach Kriegsende nahm er in Berlin mit Lise Meitner seine Forschungen über den radioaktiven Zerfall wieder auf. In dieser ruhigen Zeit seines Lebens wurde 1922 sein einziger Sohn Hanno Hahn geboren.

Nach der Machtergreifung Hitlers wurden durch das Nürnberger „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums", § 5, viele Wissenschaftler nichtarischer Abstammung wie James Franck und Fritz Haber aus ihren Ämtern entlassen. Hahn missbilligte dieses Vorgehen sehr und weigerte sich bis Kriegsende, in die NSDAP einzutreten. Zusätzlich verließ er die Berliner Universität und auch seine damalige Studentenverbindung, in der er noch Mitglied war, weil der Ausschluss vieler Mitglieder aufgrund dieser Gesetze dem damaligen Treueschwur zuwiderlief. Der passive Widerstand, den er und einige seiner Kollegen leisteten, reichte zwar vorübergehend, eine „politische Oase" zu schaffen, wie Lise Meitner es formulierte, konnte aber nicht dauerhaft den nationalsozialistischen Zugriff auf das Institut verhindern.

Seine Forschungen näherten sich in dieser Zeit dem Höhepunkt, da die Entdeckung der Neutronen 1932 durch Chadwick neue Untersuchungsmöglichkeiten des Urans eröffnete. Ein direkter Kernbeschuss war nun möglich, der vorher mit Alphateilchen wegen der hohen Abstoßungskräfte nicht gelingen konnte. Bisher ging man davon aus, dass durch radioaktive Prozesse kleine Teile des Kerns abgestrahlt werden, so dass das Nachbarelement oder der Nachbar des Nachbarelementes in der Periodentafel entstehen konnten. Die möglichen Ergebnisse waren damit sehr eingegrenzt. Hahns Neutronenversuche, die er mit seinem Kollegen Straßmann durchführte, widersprachen jedoch dieser Theorie. Er fand keine Erklärung dafür und schrieb seine Ergebnisse an Lise Meitner, die kurz vor Beginn der Versuche zur Flucht über Holland zu Freunden nach Schweden gezwungen war. (Als österreichische Jüdin drohte ihr nach der Annektierung ihres Heimatlandes das Schicksal aller anderen Juden, denn sie war nunmehr dem deutschen Rechtssystem unterworfen.)

Hahn schreibt: „Immer mehr kommen wir zu dem schrecklichen Schluss: Unsere Radium-Isotope verhalten sich nicht wie Radium, sondern wie Barium. [...] Ich habe mit Straßmann verabredet, daß wir vorerst nur Dir dies sagen wollen. Falls Du irgendetwas vorschlagen könntest, das Du publizieren könntest, wäre es doch noch eine Arbeit zu dreien."
Dr. Gerd Brosowski kommentiert: „Dass Otto Hahn seine Kollegin und lebenslange Freundin Lise Meitner als erste und zunächst exklusiv über die große Entdeckung informiert hat, dazu gehörte sehr viel Mut. Man bedenke: Ein deutscher Institutsdirektor informiert im Jahr 1938 über eine Jahrhundert-Entdeckung zuerst seine emigrierte jüdischstämmige Kollegin! Das hätte ihn leicht ins KZ Sachsenhausen bringen können. Diese Tat ist eines der vielen Beispiele für den unverdrossenen Mut, die unerschütterliche Freundestreue, die Ehrlichkeit und Geradlinigkeit des großen Gelehrten."

Während Meitner und ihr Neffe Otto Frisch versuchten, eine Erklärung zu erarbeiten, gelang Hahn und Straßmann selbst die Lösung und der experimentelle Nachweis des Problems:
Sie hatten Barium aus Uran erzeugt, welches nicht 1 oder 2 Plätze neben Uran liegt, sondern 36! Damit war klar, dass der Kern zerbrochen war, eine sensationelle Entdeckung.

Bei der Berechnung des anderen Bruchstücks unterlief Hahn dann ein Fehler, er reichte trotzdem seine Ergebnisse zur Veröffentlichung ein und schrieb auch dies an Lise Meitner. (Der Konkurrenz-druck für Publikationen war damals groß, u. a. arbeitete das französische Ehepaar Curie an derselben Thematik.) Parallel dazu hatte Meitner mit Otto Frisch die korrekte theoretische Erklärung gefunden und mit Überlegungen zur Energiefreisetzung und einer möglichen Kettenreaktion fortgeführt. Ihre Ergebnisse wurden einen Monat nach denen von Hahn und Straßmann veröffentlicht.

Zu diesem Zeitpunkt sieht sich die schwedische Akademie der Wissenschaft vor der Aufgabe, angesichts dieser bahnbrechenden Entdeckungen die Nobelpreise für Chemie und auch Physik zu verleihen. Das Standardverfahren „Begründeter Vorschlag → Nominierung → Entscheidung" wird überschattet von Kompetenzfragen (eine physikalische Entdeckung mit chemischen Methoden erreicht), politischen Kriegswirren und nicht zuletzt cheauvinistischen Überzeugungen. Obwohl Vorschläge für geteilte Preise an Hahn – Straßmann, Hahn – Meitner – Straßmann sowie

(von Max Planck 1935 und James Franck von 1940 bis 1943 sogar jährlich vorgelegt) das Team Hahn – Meitner existierten, blieb am Ende des durch die Kriegsereignisse um mehrere Jahre verzögerten Verfahrens rein formal nur der Vorschlag übrig, dass Hahn alleiniger Preisträger oder die Entscheidung wieder um ein Jahr verschoben wird. Mit knapper Mehrheit wurde Otto Hahn in der Abstimmung 1945 der Nobelpreis zuerkannt, Lise Meitner, Fritz Straßmann und Otto Frisch gingen leer aus.

Diese Entscheidung war damals (und ist es heute auch noch) sehr umstritten, denn die Verdienste der Mitforscher auf diesem Gebiet, ohne die die Entdeckung des „Gesamtpaketes Kernspaltung" nicht möglich gewesen wäre, blieben an dieser Stelle ungewürdigt. Daran konnten auch spätere Auszeichnungen für Lise Meitner nichts ändern, die z. T. als „Wiedergutmachung" gewertet wurden. Der Eindruck, dass sie um den Lohn ihrer Arbeit gebracht worden wäre, blieb bestehen. Sie selbst war darüber natürlich enttäuscht, sah die Verantwortung aber keineswegs bei Otto Hahn, sondern vielmehr bei den Entscheidungsträgern der schwedischen Akademie und den damaligen politischen und gesellschaftlichen Umständen.
In einem Brief an ihre Freundin Eva von Bahr-Bergius schreibt sie 1945:
„Hahn hat sicher den Nobelpreis voll verdient, da ist sicher kein Zweifel. Aber ich glaube, dass Frisch und ich etwas nicht Unwesentliches zur Aufklärung des Uranspaltungsprozesses beigetragen haben – wie er zustande kommt und dass er mit einer so großen Energieentwicklung verbunden ist, lag Hahn ganz fern."
Ernst Peter Fischer, Wissenschaftshistoriker der Universität Konstanz, betitelt die Preisverleihung als „Dummheit der schwedischen Akademie".

Bei der Preisverleihung dankt Hahn nur zweien seiner Lehrer, die Gesamtarbeit des Teams Hahn – Meitner – Straßmann stellt er erst später in seinem Nobel-Vortrag am 13.12.1946 ausführlich dar. Die dadurch ausgelösten Spannungen zwischen „Lieschen" und „Hähnchen", wie sie sich damals genannt haben, hielten nicht lange an, sie blieben bis zu ihrem Tod mit jeweils 89 Jahren enge Freunde.

Hahns weitere Forschungen während des Krieges beschränkten sich als Chemiker auf die Untersuchung und Katalogisierung der möglichen Bruchstücke (er fand über 100 verschiedene Isotope), während sich die meisten anderen Wissenschaftler der Kettenreaktion und ihren zivilen und militärischen Nutzungsmöglichkeiten zuwandten. Nach der Kapitulation Deutschlands wurde Hahn mit 9 anderen führenden Wissenschaftlern nach England verbracht. Als er dort vom Abwurf der Atombombe durch die USA erfuhr, war er zutiefst erschüttert, die Frage der Verantwortung der Wissenschaft für ihre Entdeckungen und deren Anwendungen wog schwer.

Nach seiner Rückkehr nach Göttingen 1946 gelang es ihm nach vielen Verhandlungen, die zonenübergreifende „Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften" zu gründen, deren Präsident er später wird. Auch politisch aktiv setzte er sich mit großem Engagement (u.a. Unterschriftensammlung und Radioansprache) für die friedliche Nutzung der Kernenergie und gegen die atomare Bewaffnung Deutschlands Ende der 50er Jahre ein.

Neben zahlreichen anderen Auszeichnungen wurden ihm zu seinem 75. Geburtstag 1954 das „Große Verdienstkreuz" und 5 Jahre danach sogar der höchste deutsche Orden, das „Großkreuz" verliehen.

Otto Hahn verstarb am 28. Juli 1968 in Göttingen.

Lesenswerte Quellen:

(verfasst von Uwe Kalfack, Nov. 2015)

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